Selbstfürsorge

In der Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen müssen sich pädagogische Bezugspersonen bewusst sein, dass es zu Sekundärtraumatisierungen kommen kann. Was darunter verstanden wird und was dabei zu beachten gilt, wird im Folgenden erklärt.

Sekundärtraumatisierungen

Herman (1994, S. 193) schreibt: „Trauma ist ansteckend“. Gemeint ist mit diesem Satz die sekundäre Traumatisierung. Unter diesem Begriff wird laut Siebert (2016, S. 76) die „Übertragung der posttraumatischen Stresssymptome auf Menschen bezeichnet, die mit Primär-Traumatisierten, etwa Flüchtlingskindern, in Kontakt sind, ohne dass diese Menschen selbst direkt mit dem traumatischen Ereignis konfrontiert sind“. Es kann also vorkommen, dass durch reines Zuhören und Mitgefühl für Betroffene zeitversetzt und ohne weitere äusseren Einflüsse Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung wie Flashback, Ängstlichkeit, Schlafstörungen, Vermeidungsverhalten oder auch dissoziatives Erleben entstehen können (vgl. Bick, 2011). Fachpersonen sprechen bei Übertragungen auch von Koregulationen (vgl. Brisch, 2011).

Übertragungen können auch in Bezug auf starke Gefühle von Traumatisierten auf die Bezugspersonen stattfinden. Dazu ein Beispiel: Ein Flüchtlingskind hat auf der Flucht den Bruder im Mittelmeer verloren und hat starke Schuldgefühle, weil es den Bruder nicht retten konnte. Dieses Schulgefühl kann vom Flüchtlingskind auf die Bezugsperson übertragen werden. Es kann also vorkommen, dass die Bezugsperson selbst im Anschluss Schuldgefühle verspürt.

Dramadreieck

Traumatisierte Kinder inszenieren in ihrem Alltag ihre erlebten Geschichten (vgl. Herzog, 2017). Sie konfrontieren ihre Bezugspersonen somit mit ihrem Trauma, wobei dies meist unbewusst geschieht.

Es kann hilfreich sein in der Arbeit mit betroffenen Kinder und Jugendlichen das Dramadreieck als Reflexionsinstrument zu benutzen (vgl. Herzog, 2017). Im Dramadreieck können vier Positionen eingenommen werden; die Verfolger-/Täter-, Retter- und Opferrolle und das ‚Selbst‘. Letzteres befindet sich dabei in der Mitte des Dreiecks. In der Arbeit mit Traumatisierten erhält man oftmals eine der drei Aussenrollen. Wenn ein Kind sich zum Beispiel als Opfer fühlt und sich so verhält, neigt pädagogisches Fachpersonal oftmals dazu, sich in die Retterrolle zu begehen. Es gibt aber auch Übertragungen, bei denen sich Bezugspersonen plötzlich als Täter, beziehungsweise Täterin, fühlen. Um einen Ausweg aus dem Dramadreieck zu finden, empfiehlt Herzog (2017, S. 27) „immer wieder in sein Selbst“ zurückzukehren, denn so könne man „anderen helfen und bleibe dabei gesund“.

Marianne Herzog erklärt im diesem kurzen Video, was Übertragungen sind und wie das Dramadreieck im Modell funktioniert.


Was kann eine Institution leisten?

Wenn Know-How über sekundäre Traumatisierungen vorhanden ist, kann auch institutionell vorgesorgt werden. Fachpersonen empfehlen dafür regelmässige und traumasensible Supervisionen (vgl. Herzog, 2017; Weiss, 2016). Auch eine kollegiale Beratung im Team kann Entlastung bringen. Denn gerade das Team kann als Kraftquelle fungieren, wenn es zur Teamkultur gehört, dass „über die Belastungen und Schwierigkeiten des pädagogischen Alltags“ gesprochen werden kann (Weiss, 2016, S. 237).

Zusätzlich ist ein fundiertes Fachwissen über Traumata nachgewiesen förderlich (vgl. Weiss, 2016; Bick, 2011). Die Institution kann interne Weiterbildungen anbieten oder auf externe Weiterbildungen verweisen.

Des Weiteren kann auf institutioneller Ebene darauf geachtet werden, dass auch Lehrpersonen einen sicheren Ort haben und vor Überlastungen geschützt werden (vgl. Weiss, 2016).